Geschichte der Wolgadeutschen

BEITRÄGE ZUR HEIMATKUNDE
DES DEUTSCHEN WOLGAGEBIETS


Über unsere Mundarten[*]

Von Georg Dinges

Professor der germanischen Philologie an der Saratower Universität.


Wenn ich im Folgenden etwas über unsere Mundarten zu schreiben unternehme, so bedeutet das soviel, dass ich über die Sprache unserer Bauer, über die Bauernsprachen schreiben werde. Ich sage Bauernsprachen, denn es ist doch jedem Bauern bekannt, dass jedes Dorf nach seiner Art redet, sei´[1] abartig Schprooch hot. „No was soll dann des gewe, wird mancher denken, iwr de Bauer ehre Schprooch zu schreiwe, zu was hot mr dan so was?“ (Na was soll denn das werden, wird mancher denken, über die Bauernsprache zu schreiben, wozu braucht man denn so was?)[a] Und er wird dann in seinen Gedanken noch weiter fortfahren und wird sich noch ganz gut daran erinnern, dass er vom Pastor, der aus Livland stammte, gehört hat, dass unsere Sprache, die Sprache der deutschen Bauern an der Wolga, gar keine richtige deutsche Sprache sei, sondern eine verdorbene, platte Sprache, ein Plattdeutsch, und das niemand in Deutschland so spreche oder jemals gesprochen habe. Und auch der Russenlehrer, der doch auch ein bisschen Deutsch (Schriftdeutsch) verstand und ein gelernter Mann war, hat sich mal noch vor dem Kriege, wie der Keiser noch „ringeniert“ hat – so schrecklich (ungeheuer, sehr) ausgelacht, als er in der Schule einmal sagte, was auf Deutsch das Wort коза bedeute, und s Hannesche ihm geantwortet hat: „ai, Gaas!“ Der Lehrer konnte zuerst gar nicht begreifen, was die Ziege mit газ Gase oder gar Petroleum (Lampenöl) zu tun hätte und zuletzt meinte er: ну и чудной у вас язык (Ihr habt aber eine sonderbare Sprache). Der Russenlehrer hat es später auch dem Doktor und dem Postnatschalnik erzählt; da hat es noch ein tüchtiges Gelächter gegeben. Das Hannesche aber war aus der Schule heim gekommen und hat geweint und gesagt: „Ich geh net meh in die Schuul, do wärd mr jo iwr sai´ daitsch Schprooch ausgelacht!“ (Ich gehe nicht mehr in die Schule, (denn) da wird man wegen seiner deutschen Sprache ausgelacht!) Der Vater musste ihm noch Schläge anbieten und es schließlich auf folgende Art trösten: „unser Schprooch is jo net richtig dr Schrift, dr Bücher nooch, mer schwädze jo plattdaitsch!“ (Unsere Sprache ist ja nicht richtig nach der Schrift und den Büchern, wir sprechen ja plattdeutsch!) Und wenn unsere Bauernsprache, unsere Mundart, den wirklich eine gute deutsche Sprache ist, ja warum sprechen denn alle „gelernte Lait“ im Dorfe – der Schreiber, der deutsche Lehrer, die Kronsamme, der Singer-Agent immer russisch und schämen sich sogar plattdeutsch zu sprechen. Demnach hat die Sache eine Ursache und es ist wirklich so: die Mundart ist eine so schlechte Sprache, dass sie einem „gelernten“ Mann gar nicht gut genug ist für seine Unterhaltung. Ja, und auch der Vorsteher, - wollte sagen der Vorsitzende im Sowet, und der ist doch auch kein dummer Mann, der probiert auf allerhand Art, russische Wörter in seine rede einzuflicken: „ stratje! Baschalesta, Feedr Iwantsch, setzt aich“, sagt er jetzt, wenn man Abends auf ein Stündchen zu ihm auf die Torbank kommt und ihm „gudnoowent“ sagt, - und nicht so einfach, wie früher: „schendank, Vetter Fritz, setzt aich“.


Ein Ausschnitt aus dem Artikel von Georg Dinges "Über unsere Mundarten".


Aber jetzt ist es auch gerade genug, denn wenn wir unseren Freund noch lange fortdenken lassen, so kommen wir ja gar nicht zu Worte und kriegen gar nichts über unsere Mundart zu hören. Vor allen Dingen kann uns niemand den Vorwurf machen, dass wir unseren Mann nicht mit der größten Geduld hätten vor sich hin denken lassen. Nun muss ich aber ein für allemal sagen, dass ich mit dem Manne durchaus nicht einverstanden bin, und dass seine Meinung von unseren Mundarten eine grundfalsche ist. Und wenn die Uneinigkeit auch gleich sehr oft Schaden bringt, so glaube ich doch, dass sie in unserem Falle niemand einen solchen bringt, höchstenfalls der falschen Meinung von unserer Sprache, aber das ist doch sicher, dass der Schaden, den man einer falschen Meinung antut, dass solch ein Schaden nur Nutzen bringt. „Ja, mer (wir) deete s jo schun gern glaawe, dass unser Bauersprooch kaa´ schlecht Schprooch is un aller Ehrn wäärt is, nar (nur) was helfe uns do aier gladde Warde (eure glatten Worte)! dann saae (sagen) kamr viel – meer Bauer wolle was Handgreifliches“. (Ja, wir würden es ja schon gerne glauben, dass unsere Bauernsprache keine schlechte Sprache und allen Ehren wert ist, nur was helfen da eure glatten Worte! Denn reden (sagen) kann man viel - wir Bauern wollen etwas Handgreifliches.) – Gut! Ihr kriegt auch etwas Handgreifliches, nur müsst ihr ein wenig Geduld haben, gerade so wie wir Geduld hatten mit dem Mann, der sich größte Muhe gegeben hat, seine Mundart schlecht zu machen, und gar nicht daran gedacht hat, dass er zugleich mit seiner Sprache auch sich selbst beschimpft hat, denn die Sprache ist doch ein Teil vom Menschen selbst, ja wohl der allerwichtigste, - den ohne Sprache wären wir so stumm und auch so dumm, wie die Tiere - und wenn die Sprache, ein Teil des Menschen, schlecht ist – ja dann muss eben auch das Ganze, dann müssen auch die Menschen, die diese Sprache reden, nicht wert sein. Dann wären unsere Deutschen an der Wolga wohl schlechtere Menschen, als die anderen? Ja wenn ihre Sprache schlecht ist! – Aber das ist es ja gerade, dass sie gar nicht schlecht ist und auch nicht dumm ist. Kann man denn in unserer Mundart nicht gut und klug reden? Selbstverständlich kann man es. Jeder gute und jeder kluge und so mancher schöne Gedanke kann auch in unserer Mundart klar und deutlich ausgesprochen werden, das habe ich schon oft probiert und auch viele andere. Natürlich gebraucht man die Sprache nicht nur dazu, um kluge und gute oder schöne Gedanken auszusprechen, - aber wenn sie schon dazu gut ist, so wird sie auch schon zu allen anderen Zwecken zu gebrauchen sein, man muss es nur verstehen, sie zu handhaben. Wenn dass alles möglich ist in unserer Mundart, ja dann ist es eben handgreiflich, dass sie eine gute Sprache ist, und wenn sie gut ist, dann hat man auch nicht die geringste Ursache, sich derselben zu schämen oder ganz und gar sich über sie lustig zu machen.

Das wäre schon alles schön und gut, und zur Not könnten wir uns mit dem, was ich für jetzt von unseren Mundarten gesagt habe, schon recht wohl begnügen, aber die Sache ist die, dass wir erstens sehr daran gelegen ist, den Leuten meine Ansicht über unsere Sprache noch klarer und handgreiflicher darzustellen, denn je handgreiflicher, desto besser, und zweitens möchte ich nun, da ich mal einen glücklichen Anfang gemacht habe, die grundfalschen Meinungen über unsere Mundarten Stück für Stück vornehmen; denn sie sind schon zu lange und zu weit in unseren deutschen Dörfern verbreitet, - besonders dank dem Einflüsse der baltischen Pastoren, - und haben unserem Bauernvolke dadurch, dass es infolge der Nichtachtung seiner Sprache schließlich auch die Meinung vor sich selbst zu verlieren anfing, schon den allergrößten Schaden gebracht, sodass es die höchste Zeit ist, sie auszurotten. Also erstens: Alle gebildeten Leute im Dorfe und auch in der Stadt glauben, dass unsere Bauernsprache eine verdorbene Sprache sei, und wenn’s alle glauben, dann wird’s wohl so sein. Da ist nun unser lieber Mann, von dem Anfangs die Rede war, gleich auf einem falschen Wege. Weit nicht alle gebildeten Leute sind dieser Meinung von unseren Mundarten, insbesondere aber solche nicht, die auch wirklich etwas von dem Leben der Sprache verstehen. Aber wer ist denn der Meinung, dass unsere Mundarten gut und schön sind? Nun, ich werde euch selbstverständlich die Namen unserer gebildeten Leute, die die Volksmundart geschätzt haben und noch schätzen, nicht schuldig bleiben. Schon der Pastor Friedrich Dsirne, welcher die Geschichte vom Kirgisenmichel und der schönen Ammi von Mariental in Form einer Erzählung geschrieben hat, hat doch – obgleich er in den Ostseeprovinzen geboren ist, - unsere Mundarten hochgeschätzt, denn er lässt den Michel und die Ammi sich in der Mundart unterhalten. Er gebraucht dieselbe – wenn auch nicht ganz so rein, wie sie das Volk spricht – nicht zum Spaße, sondern in vollem Ernste. Nicht weniger als Dsirne, schätzt unsere Mundarten unser Landsmann August Lonsinger, der unter dem Decknamen „Kol´nijer A.L.“ uns die schönen Erzählungen „Hüben und drüben“ und „Nor net lopperr g´gewa“, geschenkt hat. Die Bauern in diesen Erzählungen unterhalten sich durchwegs in der Mundart, und dadurch werden die Erzählungen nicht schlechter, sondern viel schöner, lieber und werter. Wäre die Mundart etwas schlechtes, so wären doch wohl die Erzählungen durch den Gebrauch derselben verschlechtert worden; dies ist aber keineswegs der Fall. Ebenso wie F. Dsirne und A. Lonsinger, schätzen und schätzen unsere Mundarten J. Erbes und P. Sinner, die die schöne Volksliedersammlung aus den Wolgakolonien im Jahre 1914 haben drucken lassen und in die Welt hinausgegeben, und Beratz, der Verfasser der Geschichte der deutschen Ansiedlungen an der unteren Wolga. „Nun gut, werdet ihr sagen, das sind alles Leute die in den Wolgakolonien geboren sind und von Jugend auf gewöhnt sind, das gefällt uns auch in unserem Alter. Aber was sagen denn die Deutschländer dazu und dann überhaupt die Gelehrten?“ Keine Frage könnte uns willkommener sein, als gerade diese, denn wenn wir all die Lobreden zitieren wollen, wie in Deutschland und in anderen Ländern die Gelehrten, die Dichter und alle möglichen Schriftsteller in Bezug auf die Mundarten ausgesprochen haben, so können wir damit gut ein ganzes Buch ausfüllen. Das wär ja natürlich für unser Zweck ein ganz unnützes Unternehmen, aber einige Urteile über die Mundarten muss ich doch anführen.

Vor hundert Jahren lebten in Deutschland drei Männer, die eine neue Wissenschaft begründet haben, - die vergleichende Sprachwissenschaft. Das waren Jakob Grimm, der in dem Städtchen Hanau in Hessen geboren ist, also in dem Lande, aus welchem wohl über die Hälfte aller unserer Wolgadeutschen stammt. Seine deutsche Grammatik, die 1822, also gerade vor 100 Jahren, in 2. Auflage erschienen ist, stellte fest, dass im Leben der Sprache feste Gesetze herrschen. Der zweite war Franz Bopp. Er ließ im Jahre 1816 seine Arbeit „Ueber das Konjugationsystem in der Sanskritsprache in Begleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen, und germanischen Sprachen“ erscheinen. Darin stellte er unerschütterlich fest, dass all die genannten Sprachen mit einander verwandt sind und aus einer Ursprache stammen. Später stellte er noch fest, dass auch das Slavische (zu welchem auch das Russische gehört), das Keltische, das Armenische, das Lettisch-Litauische und andere Sprachen mit den oben genannten Sprachen verwandt sind. Der dritte war Wilhelm Humboldt. Sein Hauptwerk ist die Schrift „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues“. Nach diesen drei weltberühmten Gelehrten hat es eine ganze Reihe von Sprachgelehrten gegeben, die immer wieder neue Entdeckungen auf dem Gebiete des Sprachlebens gemacht haben. Heutzutage wird an allen Universitäten[2] die Sprachwissenschaft von einem oder mehreren Professoren unterrichtet. In Deutschland hat man über 20 Universitäten und an jeder von diesen Universitäten sind Sprachgelehrte tätig. Ebenso in Frankreich, in England, in Amerika, in Italien und anderen Ländern und auch in Russland. Wie urteilen nun diese Hunderte grundgelehrter Professoren über die Volkssprache, über die Volksmundarten; - ja, was denken diese Männer, deren Namen vielfach der ganzen Welt bekannt sind, und nicht nur in einem oder paar Kirchspielen, in einem oder zwei-drei Dörfern, - was denken sie von den Mundarten?

Nun, wollen mal hören. Da wollen wir mal gleich einen von den größten herausgreifen, H. Osthoff: „Wem es beschieden war, in den Tagen seiner Jugend eine Volksmundart zu sprechen, der hat Grund, sich darum glücklich zu schätzen“. Also einen solchen Wert haben die Mundarten, dass der Gebildete, der Gelehrte, insbesondere aber der Sprachgelehrte sich glücklich schätzen kann, wenn er eine Volksmundart spricht oder in seiner Jugend gesprochen hat. Wenn die Kenntnis der Volksmundart für den Gebildeten und den Gelehrten ein Glück ist, so ist doch wohl die Mundart für den Bauern gewiss kein Unglück. Hören wir einen anderen: H. Wunderlich. „Die Herrlichkeit unserer Muttersprache spiegelt sich auf jedem Boden wieder anders“. Das heißt so viel, dass die deutsche Sprache im Volke an verschiedenen Orten immer wieder anders gesprochen wird (wie das ja auch in unseren Dörfern der Fall ist), aber in jeder Mundart spiegelt sich die Herrlichkeit und Schönheit der Sprache wieder. Dies Wort von der Herrlichkeit der Mundart klingt doch anders, als die unbegründete Meinung von der Verdorbenheit unserer Mundarten.

Aber das sind alles Sprachforscher, die die Sprache in ihrer Stube studieren, für sie ja, dass wollen wir ihnen schon mal zugeben, die Mundart eine große Bedeutung hat, aber was glauben denn die Schriftsteller, die Dichter dazu, die Männer, die doch gewöhnlicherweise die Schriftsprache gebrauchen und gebrauchen müssen, wenn sie von allen Leuten verstanden sein wollen. Nun die Gelehrten müssen ja auch die Schriftsprache gebrauchen und tun es auch, wollen aber mal einen Dichter hören. Goethe sagt in seiner Lebensbeschreibung “Dichtung und Wahrheit“: “Jede Provinz liebt ihren Dialekt (ihre Mundart); denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft“. Wie der Fisch ohne sein Element, das Wasser, nicht leben kann, so, meint Goethe, könne der Dichter (denn von ihm ist doch wohl vorzüglich die Rede) nicht ohne die Mundart auskommen, in ihr muss die Dichtung ihren Atem schöpfen, wenn sie leben will. Wenn wir Goethes Sprache in seinen Jugendwerken beobachten, so werden wir auf Schritt und Tritt gewahr, wie er Ausdrücke und Worte aus der Volkssprache gebraucht, neue, kräftige, unabgenutzte Worte, die seiner Dichtersprache eine unvergängliche Kraft und Jugendfrische verleihen. So ists auch nicht verwunderlich, dass dieser Allgewaltige, der die deutsche Sprache wie keiner vor ihm und keiner nach ihm beherrschte, solch hohe Meinung von der Mundart hat.

Ist es da nicht handgreiflich, dass nicht alle Gebildeten glauben, die Mundarten seien eine verdorbene deutsche Sprache, ja gerade im Gegenteil alle Gebildeten und Gelehrten, die sich ernstlich mit der Sprache beschäftigt haben, sind der Meinung, dass sie schön, gut und für die Wissenschaft und die Dichtkunst von unschätzbarem Werte sind.

Wie steht es nun damit, wenn gesagt wird, unsere Mundarten seien ein verdorbenes Schriftdeutsch und die Gebildeten täten sich deshalb schämen, die Mundart zu sprechen. Wenn schon die Mundarten von den Gelehrten so hoch gehalten werden, wie wir oben gesehen haben, da ist es doch deutlich, dass sie nichts Verdorbenes und Schlechtes sind; - denn wer wird denn etwas Verdorbenes und Schlechtes hochhalten? Aber hören wir auch zu diesem Punkte einmal deinen Gelehrten mit an, nämlich A. Schleicher, den berühmten Schüler und Nachfolger des Begründers der vergleichenden Sprachwissenschaft F. Bopps. Schleicher sagt: „Die Mundarten sind die natürlichen nach den Gesetzen der geschichtlichen Veränderungen gewordenen Formen der deutschen Sprache“. Nach Gesetzen? Ja, die Sprache ist veränderlich und unsere heutige Sprache unterscheidet sich sehr von der deutschen Sprache, wie sie vor 500, 600, 700 und sogar 1000 und noch mehr Jahren gesprochen wurde. Vergleicht zum Beispiel mittelhochdeutsch huus, wiin mit dem heutigen Haus, Wein. Aber diese Veränderungen gehen nach gewisser Ordnung, nach gewissen Gesetzen vor sich; diese Gesetze aber werden von der Sprachwissenschaft festgestellt. Und nach solchen Gesetzen sind auch unsere Mundarten entstanden. Das wärs uns doch mal wichtig, solch eine Regel zu sehen. Eine solche Regel kennen wir ja schon, das ist nämlich, dass dort, wo das Altdeutsche einen langen u-Laut oder langen i-Laut in der Hauptsilbe hatte, unsere Mundarten au oder ai haben. Z.B. mhd. muus, kruut, muul – bei uns Maus, Kraut, Maul. Aber mhd. gliich, iis, schriiben – bei uns glaich Ais „Eis“, schraiwe. Aber das ist ja gerade so, wie in der Schriftsprache! – Ja , so ist es auch. – Aber warum heißt es denn in der Schriftsprache Fleisch, breit, teilen oder kaufen, auch, Baum und in Kraft z.B. Flaasch, braat, daale und kaafe, aich, Baam, und warum lauten dieselben Worte in Boaro, Orlowskoi, Jost: Fleesch, breet, deeln und goufn, ouch, Boum?

Da es einmal ist es in unseren Mundarten gerade so wie in der Schriftsprache und das andere mal solch Unterschied. „Den Unterschied haben wahrscheinlich die Mundarten eingeführt und haben die Schriftsprache auf diese Art verdorben“, wird mancher sagen. Sagen wird er’s, aber gerade so sicher wie er’s sagt, gerade so sicher irrt er sich. Nicht die Mundarten haben den Unterschied herbeigeführt, sondern im Gegenteil: die Schriftsprache hat den Unterschied, der von jeher in der deutschen Sprache vorhanden war, verwischt. Es hat nämlich im Mittelhochdeutschen (vom 11.- 15. Jahrhundert) wohl huus, kruut geheißen, aber für kaufen, auch, baum, sagte man koufen, ouch, boum und für Fleisch, breit, teilen sagte man fle-isch, bre-it, te-ilen. (Man sprach also nicht ai, sondern ei, russ. eй, wie man ja jetzt noch ei schreibt). „Ai, des wär ja so wi di Katharinenstädter schwätze! Do deete di wol noch se schwedse wi mr in Daitschland fer (vor) fiir-finef hunert Johr geschwetzt hot?“ (Ach, das wäre ja so wie wenn die Katharinenstädter sprechen! Dort sprechen die wohl noch so wie wir in Deutschland vor vier-fünf hundert Jahren gesprochen haben?) Nun, was diese Wörter und ähnliche mit ei, ou anbelangt, ja! So hätten wir nun schon ein zweites Gesetz vor Augen: wo das Mittelhochdeutsche ei (te-ilen) und ou ( boum) hatte, da haben unsere Mundarten teilweise aa (daale) und aa (Baam)[3], wie in Kraft, Balzer, Seelmann u. a., teilweise ee (deele) und ou (Boum), wie in Katharinenstadt, Boaro, Fischer, Jost, Orlowskoi, Urbach, und einigen anderen, teilweise aber ee (deele, teilen) und aa (Baam) , wie in den katholischen Dörfern am großen Karaman (Mariental, Lui, Rohleder, Graf, Herzog), in Stephan und Hussenbach auf der Bergseite, in Näb, Winckelmann u. a.

Gehen wir uns das Gesagte nochmals auf andere Weise an.

Mittelhochdeutsch: Wolgadeutsche Mundarten: Schriftdeutsch:
1. ii: wiis, schriiben 1. ai: wais, schraiwe 1. ai: weiß, schreiben
2. uu: huus, kruut 2. au: Haus, Kraut 2. au: Haus, Kraut
3. e-i: fle-isch, bre-it 3. 1) ee Jost, Boaro, Mariental u. a.) Fleesch, breet

    2) aa (Kraft, Balzer, Seelmann u.a.) Flaasch, braat
3. ai: Fleisch, breit
4. ou: koufen, boum 4. 1) ou (Jost, Boaro u.a.) gouft, Boum

    2) aa (Kraft, Seelmann, Balzer, Mariental u.a.) kaafe, Baam
4. au: kaufen, Baum


So sehen wir denn eigentlich, es sind nicht zwei, sondern ganze vier Gesetze: für jeden Laut besteht ein eigenes Gesetz. Da hat man es klar vor Augen: unsere Mundarten entwickeln sich nach gewissen Gesetzen, die sich wohl bestimmen lassen. Sie haben immer noch den alten unterschied zwischen ei und ii (braat, waiß) einerseits und uu und ou (Haus, Baam) andererseits bewahrt; die Schriftsprache aber hat an Stelle der vier alten Laute uu, ii, ei, ou, nur noch zwei: ai – geschrieben ei – und au (breit, weiß, Haus, Baum). Also lebt die Schriftsprache nach einem Gesetze, die Mundarten nach einem anderen Gesetze. Und die Gesetze und Regeln, nach denen die Schriftsprache lebt, sind nicht besser und nicht schlechter als die Regeln, nach denen die Mundarten leben.

Nur wer von dem Leben der deutschen Mundarten, die alle miteinander mit der Schriftsprache zusammen erst das ausmachen, was wir die gesamte deutsche Sprache nennen, wer also von dem Leben der deutschen Sprache nichts weiß, der kann glauben, dass die Mundarten etwas Verdorbenes seien, und dass man sich schämen muss, in der Mundart zu sprechen. Sollten sich denn aber auch wirklich die Gebildeten schämen, in der Mundart zu sprechen? Nun, wenn weit nicht alle glauben, dass die Mundart etwas Verdorbenes sei, so werden sich wohl auch weit nicht alle schämen, dieselbe zu sprechen. Und es ist auch wirklich so. Ich kenne eine ganze Reihe von Dorflehrer, Schulmeistern, Schreibern, Beamten, sowohl Kommunisten (Mohr, Schwab u. a.), als auch Unparteiische, die ihre Dorfsprache lieb hatten und die sich nie geschämt hatten sie zu sprechen. Nun gut, das sind Dorfleute! Aber die Stadtleute? Nun Ja! Hier gibt es ja viele, die das Schriftdeutsche nachäffen wollen, aber auch so manchen der anders handelt – ich nenne nur Lektor P. Sinner und Dozent A. Lonsinger, beide tätig an der Saratower Universität, die haben sich noch nie geschämt, die Mundart zu sprechen, - ja im Gegenteil sie sind stolz darauf, dass sie ihre Heimatmundart noch so gut beherrschen. Und wie steht´s im Auslande? Nun, um uns kurz zu fassen: es sprechen in der Schweiz, im Elsas, in Baden, in Österreich, in Bayern und in vielen anderen deutschen Ländern nicht nur die Bauern die Mundart, sondern es ist durchaus keine Seltenheit, wenn der Arzt, der Advokat, der Prediger, der Richter, der Student und schließlich auch der Professor neben der Schriftsprache, die ja selbstverständlich jeder gebildete kennt und kennen muss, auch noch die Mundart spricht. Ja noch mehr: die Dichter schreiben Lieder, Erzählungen, Romane, Dramen in der Mundart, und ihre Gedichte (Klaus Groth), ihre Erzählungen und Romane (Fritz Reuter), ihre Dramen (Gerhard Hauptmann) gehören zu dem Allerbesten, was deutsche Dichter je geschaffen haben. Man ist mit Recht stolz auf diese mundartliche Dichter.

Vielleicht sagt ihr, das ich dem Manne, der zu Anfang seine Gedanken über unsere Mundarten so vor sich hingedacht hat, zu viel Aufmerksamkeit schenke, und dass er, wenn er gleich nicht recht hatte, doch seine Sache ziemlich kurz gemacht hat. – Das ist es eben! Da habt ihrs ja vor Augen wie leicht etwas schlecht gemacht ist, und wie viele Mühe es kostet, die Sache wieder gut zu machen! Da hat er schon gleich wieder eine Behauptung, mit der ich doch gar nicht einverstanden sein kann, nämlich: in Deutschland wird gar nicht so gesprochen wie in unseren wolgadeutschen Dörfern.

Aber das wissen doch viele von unseren Soldaten, die in Deutschland in der Kriegsgefangenschaft waren, dass dort in den Dörfern stellenweise gerade so gesprochen wird, wie bei uns, an anderen Orten aber wieder anders. Ja, ihr werdet´s ja auch selbst hier in Russland erfahren haben, wenn ihr Kriegsgefangene aus Deutschland und aus Österreich im Dorfe hattet, dass die Sprache der Deutschländer vielfach fast gerade so, manchmal aber auch ganz so war wie die Sprache unserer Bauern. Da wären ja über die Meinung, dass unsere wolgadeutschen Bauern nicht so sprechen, wie man in Deutschland mancherorts im Dorfe spricht, nicht viel Worte zu verlieren, aber da wir versprochen haben, alles recht handgreiflich zu schreiben und zu beweisen, so soll hier gleich ein Beispiel folgen. Aus dem Beispiel aber seht ihr, dass man nicht nur heut, sondern auch schon vor 100 Jahren und noch früher, in Deutschland im Dorfe ebenso gesprochen hat, wie man bei uns im Dorfe spricht. Wo hab ich das Beispiel her? Nun, wenn ihr so neugierig seid und auch das noch wissen wollt, da müsst ihr noch ein bisschen warten auf das lustige Stücklein, das ich euch mitteilen will. Zu der Zeit nämlich, als die weltberühmten Gelehrten Franz Bopp, Jakob Grimm und Wilhelm Humboldt – also vor 100 Jahren – eine neue Wissenschaft begründeten, die Sprachwissenschaft, da lebte in dem damaligen Königreich Bayern ein Offizier mit dem Namen Johann Andreas Schmeller. Er ist nicht so berühmt, wie Jakob Grimm und die anderen, aber sicher ist es, dass er ein grundgelehrter Mann war und von der Bauernsprache, von den Mundarten mehr verstand, als alle Gelehrten zusammen genommen. Dieser Johann Andreas Schmeller hat nun in der Stadt München, im Jahre 1821, ein Buch erscheinen lassen, durch welches er der Begründer der deutschen Mundartforschung wurde. Das heißt: „Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt von Joh. Andreas Schmeller. Beigegeben ist eine Sammlung von Mundart-Proben, d. i. kleinen Erzählungen, Gesprächen, Sing-Stückchen, figürlichen Redensarten und dergl. in den verschiedenen Dialekten des Königreichs, nebst einem Kärtchen zur geographischen Übersicht dieser Dialekte“. Wie aus dem Titel dieses auch jetzt noch nicht veralteten, auch jetzt noch wertvollen und für den Gelehrten auch jetzt noch notwendigen Buches zu ersehen ist, bringt es auch „Mundart-Proben“ aus ganz Bayern. So sind denn auch aus der Bayrischen Rhein-Pfalz gegeben. Und wenn die Probe, die ich jetzt bringe, auch nicht in jeder Hinsicht mit unseren Mundarten übereinstimmet, so hat sie doch die größte Ähnlichkeit mit den Mundarten der Katholischen Dörfern am Karaman[4] (Mariental u. a.)

Und jetzt kommt die Erzählung, die bei Schmeller auf S. 435-437 abgedruckt ist


Dialekte am Mittel-Rhein.
(An der Lauter, im Holzland)
Der Bote in die andere Welt.[5]


Es hot e mol e Fraa geleebt, un die esch (ist) sehr raich geweest. Do isch er ier ee´zichere (ihr einziger) Suh´ (Sohn) gschdorb. Un von der erste Schdun an esch se ganz ferweert im Kopp wor und zaite´wais nimme recht bei m Verstand geweest. Do isch e Mol ir Mon (Mann) ausgang; do hat e resnder Hondwärksporscht bei er ongekloppt um e Zeer-Penning[6] un um eebbes warmes se esse. Si loßt en enin kumme´, un gebt m Supp und Brod un e Schdik vom gischtriche Brode, un saat zunem : “Guder Fraind, ich sih wul, das er wait in der Welt erum rest ( reiset). Mei´Suh´ (Sohn) isch aa (auch) wait furt gerest, bis an die aner (andere) Welt isch er gerest. Isch er net zu emm kumm uff em Weeg?“ „Jo, er issch zu mer kumm, er leidt (leidet)  Hunger und Dorst, un loßt aich saa (sagen), dass er em e Pelzrock schicken un e Paar Himber un elf awer zwelf Gile (Gulden) Geld."

Gärn! Saat die Fraa. Und do nemt se ne Rock vun ire Mon seine mit Pelz gefidert, un e Him (Hemd) un zwee Gile (Gulden) Geld un bindt alles zsammen in e Leintuch un geebt em de Bindel, un saat zu em, er soll sich tapper furt mache, een (ehe) er Monn hem kummt, der teet im widder alles nemme´. Der Porscht hots sich net zweemal saa geloß und isch furt gang met (mit). Das Ding war gut, do kummt der Monn hem: und die Fraa hots em verzählt das se n irem Suh´ eebbes geschickt hat. Das isch widder e hibsche Geschicht, dinkt (denkt) sich der Monn bei sich seelwert. Un wail er gement hot, sei´ Fraa het gar vel Geld hergeeb, do hot er sich glaich uf e Gaul gsetzt un isch dem Porscht no (nach) gejaat, un hots em widder abnehme wele. Wi der Schelm de Raider hot si (sehen) no (nach) kumme, do hot er de Bindel hiner e Heeck versteeckt, un isch uf der Stroos schdi´e blib und hot si (sich) uf de Schdecke geleet (gelegt), as (als) wann er ruhe (ruhen) teet.

Der Monn isch tapper dehär gejaat, un hot in gfroot (gefragt), eb (ob) er ke Porsch gesi hot meem´ (mit einem) waisse Bindel? Jo, ich hon een gsi (gesehen), saat der Schelem, der isch mit sai´m Bindl da iwer de´ Zau´ gschprung, wi er aich gesi hot. Laafen em (laufen dem) Wald zu, dann krin (kriegt) er n noch. Der Herr isch glaich vum Gaul eruner gschdi (gestiegen), un hot de Gaul em Porsch zu heewe geeb.

Un wi der Herr in de Wald geschprung isch, hot der Schelem de Bindl uf de Buckel genomm, un setzt sich uf de Gaul uu isch furt geritt. Wi dr Herr nimand im Wald fun hot (gefunden hat), da isch er widder serick gang un hot hem raide welle. Un wi er eraus isch kum, hot er ke´ Gaul mi´ gsi, un hot miß (müssen) se Fuß hem gihe. „Hoste den Monn fun?“- froot n di Fraae. „Ja ich hon en fun, un hon em mih´ Geld geb, un honem aa (auch) noch mai´ Gaul geschinkt (geschenkt), dass er eherst r zu unserm Suh´ (Sohn) kummt“.

 


Es hat mal eine Frau gelebt, und sie ist sehr reich gewesen. Da ist ihr einziger Sohn gestorben. Und von der ersten Stunde an ist sie ganz verwirrt im Kopf geworden und zeitweise nicht mehr bei(m) Verstand gewesen. Da ist ein Mal ihr Mann ausgegangen; da hat ein reisender Handwerksbursche bei ihr um einige Zehr-Pfennige[b] und um etwas warmes Essen angeklopft. Sie lässt ihn herein kommen, gibt ihm Suppe und Brot und ein Stück von dem gestrigen Braten, und sagt zu ihm: "Guter Freund, ich sehe wohl, das ihr weit in der Welt herum reiset. Mein Sohn ist auch weit fort gereist, bis an die andere Welt ist er gereist. Ist er ihnen auf dem Weg nicht begegnet (entgegengekommen)?" "Ja, er ist mir entgegengekommen (begegnet), er leidet Hunger und Durst, und lässt euch sagen, dass ihr ihm einen Pelzrock schicken sollt und ein Paar Hemden und elf oder zwölf Gulden Geld."

Gerne! Sagt die Frau. Und da nimmt sie einen Rock von ihrem Mann mit Pelz gefüttert, ein Hemd und zwei Gulden Geld, bindet alles zusammen in einen Leinentuch und gibt ihm den Bündel, und sagt ihm, er soll sich schnell auf den Weg machen (fortgehen), bevor ihr Mann nach Hause kommt, der würde ihm wieder alles (weg)nehmen. Der Bursche hat sich das nicht zwei Mal sagen lassen und ist damit fort gegangen. Das Ding war gut (gut war´s), da kommt der Mann nach Hause: und die Frau hat ihm erzählt das sie ihrem Sohn etwas geschickt hat. Das ist wieder eine nette Geschichte, denkt sich der Mann. Und weil er gemeint hat, seine Frau hat sehr viel Geld hergegeben, da hat er sich gleich auf einen Gaul gesetzt und ist dem Bursche nachgejagt (hinterher geritten), und hat es ihm wieder abnehmen wollen. Als der Schelm den Reiter kommen sah, hat er den Bündel hinter einer Hecke versteckt, und ist auf der Strasse stehen geblieben und hat sich auf den Stecken[c] gelehnt, als ob er ruhen würde.

Der Mann ist tapfer daher gejagt und hat ihn gefragt, ob er einen Burschen gesehen hat mit einem weißen Bündel? Ja, ich habe einen gesehen, sagt der Schelm, er ist mit seinem Bündel da über den Zaun gesprungen, als er euch gesehen hat. Lauft dem Wald zu, dann kriegt ihr ihn noch. Der Herr ist gleich vom Gaul herunter gestiegen, und hat den Gaul dem Bursche zu halten gegeben.

Und als der Herr in den Wald gesprungen ist, hat der Schelm den Bündel auf den Buckel genommen, setzt sich auf den Gaul und ist fort geritten. Als der Herr niemanden im Wald gefunden hat, da ist er wieder zurück gegangen und wollte heim reiten. Und als er heraus gekommen ist, hat er keinen Gaul mehr gesehen und musste zu Fuß heim gehen. "Hast du den Mann gefunden?"- fragt ihn die Frau. "Ja, ich habe ihn gefunden, und habe ihm mehr Geld gegeben, und habe ihm auch noch meinen Gaul geschenkt, damit er schneller zu unserem Sohn kommt".[d]


So steht es also mit der Bauernsprache in Deutschland, ja sie ist der unsrigen mancherorts noch viel ähnlicher, aber ich habe jetzt gerade keine bessere Probe unter der Hand. Ist es da nicht handgreiflich, dass die Meinung, dass man in Deutschland in den Dörfern nicht so spricht wie bei uns, eine grundfalsche ist? Wenn das so ist, so wären wohl bei dem Lobe, das von den Gelehrten, Dichtern und Schriftstellern auf die Mundarten ausgesprochen wird, auch unsere wolgadeutschen Mundarten gemeint? Selbstverständlich doch. Ihr seht schon wohl, dass ich die obige Probe nicht nur als heitere Unterbrechung der ernsten Betrachtungen gebracht habe. Diese kurze lustige Erzählung, dieser Schwank, oder besser: die Sprache dieses Schwankes belehrt uns aber noch eines anderen. Sie beweist nicht nur dass unsere Bauernsprachen gerade so sind, wie die in Deutschland oder ihnen doch sehr ähnlich, sondern auch noch, dass die deutschen Wolgabauern ihre Sprache, ihre Mundarten, so wie sie jetzt sind, gerade so oder ähnlich so, aus Deutschland mitgebracht haben. Denn allen Anscheine nach haben sich unsere Mundarten in ihrer Aussprache, in ihrem Lautbestande nicht verändert. Wenn bei uns kaafe für schriftdeutsch kaufen gesagt wird, so finden wir diese Aussprache in Hessen, in der Rhein-Pfalz, im Norden von Baden und Bayern und sonst in Deutschland wieder. Sagt man bei uns Baa´ „Bein“ (d.h. den a-Laut gedehnt und durch die Nase gesprochen,) so finden wir dieses genäselte lange a auch wieder in Hessen, Baden. u.s.f.

Ebenso gibt es wohl keine Biegungsformen, die nicht auch schon in reichsdeutschen Mundarten vorhanden wären; ob es nun heißt gebrunge „gebracht“ (zu bringen) gewest „gewesen“ (zu sein); s gong „ es ging“ ( zu gehen); ich sin, ich sein „ich bin“, so finden sich diese Formen auch wieder in reichsdeutschen Mundarten.

Das bedeutet nun aber doch nicht, dass unsere Mundarten alle gerade so sind, wie die Mundarten in Deutschland, denn eine Sprache, eine Mundart kann sich nicht nur von sich aus verändern ( wie z. B. der Übergang des altdeutschen ii, uu in ai, au) sondern auch so, dass sie sich mit einer anderen vermischt: auf diese Art entstehen Mischmundarten (und Übergangsmundarten). Wohl die meisten von unseren Mundarten sind Mischmundarten, die so entstanden sind, dass sich zwei oder mehrere aus Deutschland in ein Dorf mitgebrachte Dialekte vermischt haben. Aber, wenngleich unsere Mutterkolonien schon über 150 Jahren bestehen, so sind doch nicht in allen Dörfern die aus Deutschland mitgebrachten verschiedenen Mundarten restlos verschmolzen. So sagt wohl in Grimm der Bursche aus dem Unterdorfe: „wan ich dr uf die Noos schloog, kriiste (kriegst du) e Noos wie Woogerood“ (Wenn ich dir auf die Nase schlage, kriegst du eine Nase wie ein Wagenrad.), aber der Oberdörfer sagt hier überall a: „wan ich dr un die Naas schlaag, kriiste e Naas wie e Waagerad“. Wenn wir aber unsere Tochterkolonien nehmen (Neu-Weimar, Blumenfeld, Schöntal, Sichelberg, u. v. a.), so ist es da meistens der Fall, dass in einem Dorfe mehrere Mundarten eine zeitlang nebeneinander bestehen. Dann aber fängt die schwächste (es braucht nicht immer die geringste an Zahl zu sein!) an, ganz zu schwinden, oder aber die Mundarten fangen an, miteinander verschmelzen, und so entsteht eine neue Mundart, eine Mischmundart.

Nach dem, wie die neuen Mischmundarten in den Tochterkolonien entstehen, kann man sich ungefähr ein Bild davon machen, wie sie früher in einem Teile der Mutterkolonien entstanden sind, z. B. in Seelmann, und ich will euch auch gleich ein Beispiel geben. In Blumenfeld wohnen Leute aus verschiedenen Dörfern. Die meisten sind aus Kraft, dann sind einige aus Dreispitz, Tscherbakowka, Warenburg und anderen Dörfern. Auch ist dort eine Familie aus Kukkus. Nun bildet sich aber entschieden eine Mischmundart heraus.

Nehmen wir mal einen Satz in der Mundarten von Kraft, Warenburg, Kukkus, Tscherbakowka:

Kraft. Dess is e moul e grous gowl! Wu houst de dan die häär?

(Das ist mal eine große Gabel! Wo hast du denn die her?)

Warenburg. Des is e mol e gruus gowl! Wu hoste dan die häär?

Kukkus. Des is e mol e gruus gawl! Wu hoste dan die häär?

Tscherbakowka. Des is e mol e groosi gawl! Wu hoschte si dan häär?

„Gruus“ sagen nur noch einige alten Warenburger und Kukkuser. Die Jugend spricht grous. Ebenso schwindet, oder ist schon im gänzlichen schwinden „groosi“ (mit langem offenem o und Schluß i ) „hoschte“ stirbt auch gänzlich aus. Fast gleichberechtigt sind „gowl“ Gabel bei den einen und „gawl“ bei den andern. Aber das Kratzer „gowl“ weicht immer mehr zurück vor „gawl“. Und so wie jetzt die Umstände sind, scheint es mir nicht zweifelhaft, dass zuletzt alle nur noch „des is e mol e grous gawl! Wu hoste dann die häär?“ sprechen werden. Es verschwindet also in unserem Falle die Aussprache, die der Schriftsprache am unähnlichsten ist: gruus, groosi, gowl. (Es ist dies aber durchaus nicht immer der Fall). So hat jede von vier Mundarten etwas verloren und jede etwas neues übernommen. Jede hat sich verändert – und so ist eine Mischmundart[7] entstanden, die wohl mancher anderen, die vielleicht auch keine Mischmundart ist, sehr ähnlich sieht.

Jetzt ist es aber die höchste Zeit, dass wir noch an zwei Punkte kommen, über die unser Mann im Anfang nachgedacht hat. Erstens über den Gebrauch der russischen Wörter und zweitens darüber, dass unsere Mundarten plattdeutsch sind. Aber ehe die russischen Wörter an die Reihe kommen, wollen wir doch noch ein wenig über die Veränderungen unserer Mundarten nachdenken. Die Sprache verändert sich nicht nur dadurch, dass, wie schon oben erwähnt, ihre Laute sich verändern (althochdeutsch huus: neuhohdeutsch Haus) oder sie ihre Formen verliert (wie Tscherbakowker in Blumenfeld die Form waisi, groosi verloren haben) oder aber auch neue Formen gewinnt, sondern die Sprache verändert sich auch dadurch, dass sie alte Wörter verliert und neue hinzubekommt. Da haben sich nun unsere wolgadeutschen Mundarten ziemlich stark verändert, denn sie haben sehr viele neue Wörter hinzubekommen. Erstens sind neue deutsche Wörter hinzubekommen, und natürlich solche, die es vielleicht auch in Deutschland nicht gibt und also von unseren Bauern erfunden und geschaffen sind. Z. B. Treetwage –Tretwagen (Blumenfeld u. a.) Raitwage (Neu.Weimar) in der Bedeutung von Fahrrad. Feierwaage- Feuerwagen 1. Lokomotive 2. Auto. Letztes wird auch Schpringwaage-Springwagen geheißen (diese Benennung habe ich in Friedenberg gehört). Ebenso: Lambeel-Lampenöl „Petroleum“. Pifer, Piwer “Zieselmäuse” so genannt nach ihrem Pfeifen. Wenn es solcher Wörter auch nicht viele gibt, so sind sie doch ein Beweis für die sprachliche Schöpferkraft und somit für die Tüchtigkeit und Lebensfähigkeit unserer wolgadeutschen Bauernsprachen. Auch aus der Schriftsprache sind nach der Einwanderung neue Wörter in unsere Mundarten gedrungen: Luftschiff, Eisenbahn, (eisebahn, eisebah´, aiseboh´).

Aber die größte Veränderung in ihrem Wortschatze haben unsere Mundarten dadurch erfahren, dass sie eine nicht geringe Menge von russischen Wörtern aufgenommen haben. Meine Sammlung von russischen Lehnwörtern in den verschiedenen Mundarten enthält etwa 800 Wörter. Nun darf man sich aber nicht vorstellen, als ob unsere Bauern auf Schritt und Tritt russische Wörter gebrauchen. Man kann sich wohl stundenlang unterhalten mit einem Bauern, ohne ein russisches Wort zu hören. Doch bei manchen, die sich was drauf einbilden, kommen sie oft haufenweise vor. Dass solche Wörter, wie Arbuus, Arbuse, арбуз; Samewaar, Sumwaar самовар; Pristaf, Stanewoi становой пристав und viele ähnliche entlehnt werden, braucht uns nicht Wunder zu nehmen, denn diese Wörter bezeichnen etwas Neues, was den Deutschen, die im 18. Jahrhundert nach Russland herüber kamen, in Deutschland noch nicht begegnet war: für die neue Sache wird ein neues Wort entlehnt. Und doch muss ich hier gleich sagen, dass unsere Bauern auch in diesem Falle teilweise neue Wörter geschaffen haben. In Jost heißt die Arbuse Wassermelone; Petroleum zu russisch газ, керосин heißt in Blumenfeld Lampeel-Lampenöl und Lichtfett; in Kraft auf der Bergseite Lichterfett. Wenn also etwa 800 Wörter in unseren Mundarten aus dem Russischen entlehnt sind, so bedeutet das keinesfalls, dass alle 800 auch zugleich in jedem Dorfe vorkommen. Zudem ist, soweit mir bekannt, kein einziger neuer Laut aus dem Russischen in unsere Mundarten gedrungen: der russische пряник Prjänik (eine Sorte Lebkuchen oder süßen Gebäcks) heißt bei uns Breenik; russisches вотол Wotol, Watol ergibt bei uns (Blumenfeld u. a.) Wadol „grobes Gewebe“ Кабак ergibt Kawak. Also statt der russischen p, t, b ein b, d, w, wie es die Gesetze der mundartlichen Aussprache verlangen. Aber ich sage ja, es sei nicht verwunderlich, dass Wörter wie Samwar, Bud „Pud“ entlehnt werden. Was ist den aber verwunderlich? Verwunderlich ist (aber selbstverständlich nicht zu sehr), dass russische Wörter auch dann entlehnt werden, wenn eine Sache von jeher bei den Deutschen bekannt war und ein gutes deutsches Wort zu ihrer Benennung vorhanden war, und dann dennoch ein russisches Wort anstatt eines deutschen gebraucht wird: So, wenn anstatt des Grußes guten Tag, guten Morgen gesagt wird strastje здравствуйте! Oder wenn man anstatt ich bitte euch! ich bit aich! (Ausruf der Verwunderung) das baschalesta! Пожалуйста! gebraucht, das ist verwunderlich[8]. „Soo, do kimt jo der Mann, der wu oo´fangs unser Schprooch so gescholle (gescholten) hot, doch noch emol an die Reih. Un mer hadde geglaabt, ehr het n ganz fergesen“ (So, da kommt ja der Mann, der anfangs unsere Sprache so gescholten hat, doch noch einmal an die Reihe. Und wir haben geglaubt, ihr hättet ihn ganz vergessen.) - Nein, diesen Mann, der geglaubt hat, es sei so schön russische Wörter in die deutsche Sprache einzumischen, und sich dabei noch auf den Vorsitzenden im Sowet berufen hat, den habe ich in keinem Fall vergessen. Und weil wir beiderseits zu rechter Zeit an den Mann gedacht haben, so wissen wir auch schon, warum unsere Bauern auch dann russische Wörter gebrauchen, wenn gute und passende deutsche Wörter da sind, mit denen man seine Gedanken ganz vortrefflich ausdrücken kann: unser Mann, der Vorsitzende im Sowet, an den unserer Mann gedacht hat und mit ihnen viele andere glauben, es sei schön, wenn man in seine deutsche rede russische Wörter hineinmische. Aber ist es denn auch wirklich so schön, wie die Leute glauben? Ich glaube, es ist ganz unschön, wenn man russische Wörter in die deutsche Sprache ohne Not hineinmischt. Nun, die russische Sprache ist wohl nicht schön? Das behaupte ich ja gar nicht, dass die russische Sprache schlecht ist. Sie ist gut und schön gebaut, ebenso, wie auch die deutsche Sprache und auch unsere Mundarten gut und gebaut sind. Aber das etwas schönes herauskommt, wenn man die russische und die deutsche Sprache wie Kraut und Erbsen durcheinander mengt, das glaube ich nicht. Und da merkt euch mal ein Beispiel. Man baut aus Holz ganz gute Häuser. Aber auch aus Lehm (Lahme) kann man ganz gute und dauerhafte Häuser bauen. Aber was würdet ihr zu dem Manne sagen, welcher herginge und auf einmal aus seinem hölzernen Hause mitten aus dem Bau ein großes oder kleines Stück heraussägte und nun in das Loch Lehmsteine hineinsteckte und sich dazu noch die Mühe gäbe, die Lahmsteine so zu behauen und zu verschmieren dass sie so aussähen, wie ein Baustück; oder auch umgekehrt: der Mann hat ein Lehmhaus, aber weil die hölzernen Häuser auch schön sind, geht er her und zersägt Baustücke zu viereckigen Klötzen, sodass sie die Form eines Lehmsteines bekommen und reißt nun mitten aus dem Lehmbau ein Stück heraus und setzt die Holzklötze hinein. Ihr würdet sicher und gewiss sagen: „No des wär jo en Narr! Hot mer dann aach Lait, die wu so ehre Haiser verunziern. So was hot mer jo noch gar net erleebt.“ (Na das wäre ja ein Narr! Es gibt ja auch Leute, die so ihre Häuser verunzieren. So was hat man ja noch gar nicht erlebt.) Aber wenn man den schönen Bau der Sprache gerade auf dieselbe Art behandelt, wie in unserem Beispiele der Mann sein Haus, ist es da nicht handgreiflich, dass man seine Sprache nur verschlechtert und verunziert? Z. B. Baschalaste, Gum, guk nar mool, wi sich die Rewede do rom barodse: des Roode is schun ganz malak und hod ewer ach gar ka Sile meh´. (Пожалуйста, кум, (bitte, Vetter) guck mal, wie sich die Ребята (Burschen) da rum борятся (ringen, kämpfen); der Rote ist schon ganz маленький (klein) und hat eben auch gar keine силы (Kraft) mehr.) Und wenn ihrs nicht glaubt, dass das unschön ist, so geht und fragt die Russen und hört wie sie urteilen. Sie lachen sich aus über die Deutschen, die auf Schritt und Tritt russische Wörter in ihre Sprache hineinflicken und sie noch dabei schlecht aussprechen, und sie haben vollständig recht.

„No, des loßt nar mol gut sei! S kennt jo aach wärklich net schee´ (schön) sei´, wamr ohne alle Nout ruschiche (russische) Wärdr gebraucht. Ewr der Mann dem wu s so gefolle hat, das manche Lait s Ruschiche uns Daitsche darichenanermantsche, wie Kraut un Erwes, der hot doch aach (auch) geglaabt, unser Schprooch wär plattdaitsch?“ (Na, das lasst nun mal gut sein! Es könnte ja auch wirklich nicht schön sein, wenn wir ohne alle Not russische Wörter gebrauchen. Eben der Mann, dem es so gefallen hat, dass manche Leute Russisch und Deutsch durcheinander mischen, wie Kraut und Erbsen, der hat doch auch geglaubt, unsere Sprache wäre plattdeutsch?)

Jetzt kommt ihr mir schon wieder mit dem Mann! Aber er hat mir wirklich schon so viel Mühe und Arbeit gemacht, der Mann, dass ich jetzt mal ganz kurz fassen will. Und da sage ich denn zu seiner Meinung: „Nein! unsere Sprache ist hochdeutsch! Und alle unsere Mundarten sind hochdeutsch, außer der Sprache der Mennoniten“.

Nun, was ist denn da plattdeutsch? Wer es gern wissen will, was plattdeutsch ist, dem kann ich es sagen. Plattdeutsch ist z. B. die Sprache der Mennoniten. Und wie die Mennoniten sprechen, werden ja schon viele gehört haben. Aber nicht jedermann hatte die Möglichkeit, einen Mennoniten zu hören, und weil ich versprochen habe, alles recht klar und handgreiflich zu zeigen und zu beweisen, so will ich gleich ein wenig Mennonitisches anführen[9] damit ihr auch seht, was Plattdeutsch (Niederdeutsch) ist.

Dou kohla en den oowa, dat de maalk boul tou kooka anfangt.

Tue Kohlen in den Ofen, dass die Milch bald zu kochen anfängt.

De aat de aije eme ohne salt on pepa.

Er ißt die Eier immer ohne Salz und Pfeffer.

Miin lewet kind bliif hi one schdohne, sonst biita dii di jänts duut.

Mein liebes Kind bleib hier unten stehen, sonst beißen dich die Gänse tot.

Ek sii bii de fruu jewese. – Ich bin bei der Frau gewesen.

Da seht ihr doch vor Augen, dass zwischen unseren hochdeutschen Mundarten und dem Niederdeutschen ein großer Unterschied ist. Was ist nun Hochdeutsch und was ist Niederdeutsch? Oder besser, was für ein Unterschied ist zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch? Das lehren uns teilweise die Worte: tou zu, kooka kochen, Pepa Pfeffer, biita beißen, ek „ich“, Salt „Salz“, nämlich 1) wo das Niederdeutsche t und p im Wortanfang vor Selbstlauter (a, e, i, o, u, ö, ü, ) hat, da hat das Schriftdeutsche z und pf: tou zu, Pepa Pfeffer. Die hochdeutschen Mundarten aber haben anstatt des p im Wortanfang entweder f, wie bei uns Orlowskoi, Boaro, Jost, Katharinenstadt, Urbach u. a., oder dasselbe p, wie in den meisten Wolgakolonien: also Fefer (Orlowskoi u. a. ), Pefer ( auf der ganzen Bergseite, am Tarlyk, außer Jost, am Torgun, am Karaman in den katholischen Dörfern und sonst) oder auch pf - , wie das Schriftdeutsche 2) wo das Niederdeutsche mitten im Worte zwischen zwei Selbstlauten oder am Wortende nach einem Selbslauter k, t, p hat, da hat das Hochdeutsche (mit einer nicht zu großen Ausname für t) ch, ss (s) ff (f): kooka kochen, ek ich, biita beißen, lewet liebes, Pepa Pfeffer. 3) hat das niederdeutsche im Wortinnern nach einem Mitlauter „t“ so hat das Hochdeutsche hier z: nd. Salt- hd. Salz. Ich will es hier beiläufig nicht verschweigen, dass viele Regel gerade der Jakob Grimm, von dem wir schon früher gesprochen haben, entdeckt hat. Nun steht es aber in Deutschland so, dass im Norden niederdeutsch gesprochen wird, ähnlich dem Mennonitischen d. h. kooka, biita, Pepa „Pfeffer“, tou zu, Tiid Zeit, Salt; auch ist festgestellt, dass diese Art zu sprechen, das Niederdeutsche, bis zu der Linie Limburg-Aachen-Düsseldorf am Rhein,- Kassel an der Weser,- Magdeburg an der Elbe, von da längst der Elbe bis Griebau,- nördlich von Wittenberg, - südlich von Frankfurt an der Oder, - Birnbaum (Vrgl. Behaghel, Geschichte der deutschen Sprache 1911, wo die Grenze genauer angegeben ist) reicht. Südlich dieser Linie, die von West nach Ost zieht, spricht man hochdeutsch, also: kochen, beißen, Zeit, zu, paifen, feifen oder pfaifen je nach der Mundart.

„Ja was geht uns Wolgadeutsche diese Linie an?“ wird mancher sagen. Sehr viel geht sie uns an und eben deshalb, weil alle unsere Wolgadeutschen – die Mennoniten natürlich nicht mit einbegriffen, die sprechen ja niederdeutsch – hochdeutsch sprechen, nämlich koche, baise, paife oder faife, Salz u. a., und man also daraus schließen kann, dass der größte Teil von ihnen, wenn nicht fast alle, aus dem Teile Deutschlands stammen, der im Süden von der oben angegebenen Linie liegt. So stellt sich auf einmal heraus, dass die Kenntnis unserer Mundarten sehr wichtig ist für unsere Geschichte. Auch ohne unsere Einwanderungslisten könnten wir ziemlich sicher sagen, dass der größte Teil unserer Voreltern aus dem hochdeutschen Teile Deutschland stammt. Selbstverständlich ist, dass die Einwanderungslisten es uns pünktlicher als die Sprache sagen. Aber wenn z. B., die Einwanderungslisten teilweise, wie das mit Grimm der Fall ist, oder ganz verloren sind? Ja dann ist eben die Sprache fast das einzige uns hier in Russland zugängliche Mittel, die Heimat der Grimmer in Deutschland zu bestimmen. Ja aber was hilft uns denn die Linie Limburg-Aachen-Düsseldorf-Kassel usw., allein wenn wir die Urheimat unserer Väter näher bestimmen wollen? Gibt uns denn unsere Sprache nicht noch andere Mittel in die Hand, die alte Heimat unserer Wolgadeutschen genauer zu bestimmen? Ja selbstverständlich. Neben der Linie die das Niederdeutsche von Hochdeutschen trennt, gibt es im Hochdeutschen selbst eine Linie, die dasselbe in zwei Teile teilt[10]. Im Norden von dieser Linie heißt es Appel, Aeppel (abl, ebl), kloppen (klobbe, klobben) - das sind die mitteldeutschen Mundarten, im Süden davon Apfel, klopfen[11] - das sind die oberdeutschen Mundarten. Meines Wissens, sagt man in allen unseren hochdeutschen Mundarten Appel, Ebbel (abl, ebl) klobbe, klobbn und somit hätten wir festgestellt, dass unsere Mundarten ihrem Lautstande nach alle mitteldeutsch sind. Und daraus schließen wir weiter, dass unsere Vorfahren in ihrer größten Masse gerade Mitten aus Deutschland, aus Mitteldeutschland stammen. So wären wir schon einen guten Schritt weitergekommen. Wie aus der beiliegenden Karte ersichtlich, spricht man nämlich auf der ganzen Bergseite und in den meisten Dörfern der Wiesenseite im Wortanfange ein p in den Wörtern Punt Pfund, Peffer Pfeffer, Paif Pfeife Blaume Pflaume u. a., (also an Stelle des schriftlichen pf-). In einem kleinem (bekannten) Teile: Jost, Boaro, Orlowskoi, Urbach, Katharinenstadt heißt es Funt, Feffer, Faif, Flaumen oder Flaume[12].

So wie der Unterschied in der Aussprache des Anfangslautes in den Pfund, Pfeffer, Pflaumen bei uns besteht, so besteht er, wie schon oben gesagt, auch in Deutschland im sogenannten Mitteldeutschen, von dem eben die Rede war. Im Osten, im Ostmitteldeutschen[13] heißt es: Funt, Feffer, Flaumen „Pflaumen“. Im Westen, im Westmitteldeutschen heißt es Pund, Peffer, Paif, Blaume oder Braume (wie im Dorfe Deller). So hätten wir denn festgestellt, dass die Hauptmasse unserer Mundarten westmitteldeutsch ist, und also der größte Teil unserer Vorväter aus dem Westen des mittleren Deutschland stammt.

Nun spricht man aber in einem großen Teile des Gebiets der westmitteldeutschen Mundarten (Rheinprovinz, in Luxemburg, im westlichen Lothringen, im nordwestlichen Teil des Rbz. Wiesbaden der Provinz Hessen-Nassau) wat, dat, allet, für was, das, alles, was bei den Wolgadeutschen (nebst den Mennoniten) meines Wissens auch nirgends vorkommt. Dieses Gebiet kommt also als Urheimat der größten Masse unserer Wolgadeutschen auch nicht in Betracht. Aber noch ein Teil des Westmitteldeutschen muss ausgeschlossen werden, nämlich der , wo man niederhessisch[14] spricht. Dort heißt es für Haus, Kraut, beispielsweise Huis, Kruit, für faul fuil; die Pflaume heißt dort Premm, der Daumen Demme, für Eis sagt man Is und für beißen bisse. Auch der rheinfränkische Teil Lothringens, wo mhd. Uu, ii, üü, nicht zu Doppellauten (au, ai, oi (ai) z. B.) geworden sind, kommt in Abbruch, denn in allen wolgadeutschen Mundarten (außer der Sprache der Mennoniten) heißt es: Haus, faul, Ais, baise oder baisen u. s. f.

So kommt als nähere Urheimat wohl der meisten unserer Vorväter folgender Teil Deutschlands in Betracht: der Volksstaat Hessen (ohne den östlichen Zipfel Oberhessens mit den Orten Lauterbach, Schlitz und Grebenau (vgl. H. Reis. Maa...Hessens, S. 11), ein Teil der Provinz Hessen-Nassau, soweit man dort eben nicht neiderhessisch und mittelfränkisch ( wat, dat, it „es“, allet) spricht, ein kleiner nordwestlicher Teil von Bayern um Aschaffenburg, ein kleiner nordwestlicher Teil Badens, um Heidelberg herum, die bayrische Rheinpfalz ohne den Südosten, geringe Teile der Rheinprovinz (um Wetzlar, um Kreuznach). Mit anderen Worten, das ganze Rheinfränkische, außer dem Niederhessischen und dem Rheinfränkischen der Provinz Lothringen[15].

Ich behaupte keinesfalls, dass alle Vorfahren unserer Bauern und Dorfbewohner, die Pund, Peffer, Blaume sagen, aus dem oben näher bestimmten Teile Deutschland stammen, denn wie die Einwanderungslisten ausweisen, waren unter den Einwanderern auch Leute aus Baden, Württemberg, Bayern, dem Elsas und der Schweiz; - also der Sprache nach Oberdeutsche – und auch Leute aus Norddeutschland, - also der Sprache nach Niederdeutsche. Da aber wohl die Mehrheit der Einwanderer mitteldeutsch sprach, so haben die anderen, wenigeren, ihre oberdeutsche und niederdeutsche Sprache eingebüßt[16].

Über die Mundarten von Boaro, Jost, Orlowskoi in denen Fund, Feffer, Flaumen gesagt wird und zugleich Boum, ich wees, in denen ferner für sagen, holen gesagt wird soogen, holen (also das Schluss n erhalten ist) und für Kind, Kirche es Gind Gärche heißt – über diese Mundarten will ich vorläufig nur soweit sagen, dass sie auf Ostmitteldeutschland, die osterländische Mundart (Volksstaat Sachsen und Provinz Sachsen) als ihre Heimat hinweisen. Für Orlowskoi bestätigt die ostmitteldeutsche Herkunft der Einwohner das „Runddeel“- runder Teil: die Häuser sind in Orlowskoi am Freiplatze im Kreise um die Kirche herum gebaut. Die Dörfer mit solchen Plane heißen in der Wissenschaft „Rundlinge“, sie sind slavischer Herkunft und kommen in Deutschland nur östlich der Linie Kiel-Magdeburg-Halle-Rudolsstadt usw. vor. (Vgl. Wörter und Sachen I. S. 57 die Karte von W. Pessler). So bestätigt das Orlowskoier „Runddeel“ aufs entschiedenste das, was wir schon aus der Sprache mit einiger Sicherheit wissen: die Orlowskoier stammen aus Ostmitteldeutschland.

Es ist nur noch zu bemerken, dass in diesen Dörfern alles jesoot, jesogt, und nicht gesogt wird aber nur der Boaroer allein liebt die „juten Jänse und jeht jlaich und hoolt das Jäld“, wenn eine zu verkaufen ist. Am nächsten steht diesen drei Mundarten die von Urbach, wo „di gleene Ginnr uf n Boum“ klettern und sich „n Ebbel hoole“ (und nicht holen, wie in Boaro, Jost, Orlowskoi).

Schon weiter ab steht die Mundart von Marxstadt (Katharinenstadt), wo es neben Boum, Kleeder und hoole schon Kind heißt und in der es sogar Nadel, geschlafe, rate „raten“ heißt, was in Mitteldeutschland meines Wissens nur in Stadtmundarten vorkommt, sodass also die Sprache der Katharinenstädter eigentlich eine Stadtmundart ist.

Wir können natürlich auch noch zu vielen anderen wichtigen wissenschaftlichen Ergebnissen gelangen, wenn wir unsere Mundarten noch gründlicher studieren. Vorläufig aber wissen wir noch einen Grund mehr, weshalb die Gelehrten so große Achtung vor der Volkssprache, vor den Mundarten haben. Dort, wo Schriftstücke fehlen, helfen sie uns die Vergangenheit des Volkes aufhellen und sind also ein sehr wichtiges geschichtliches Dokument. Mir aber ist es so ergangen, wie schon vielen anderen: Mit Spaß habe ich angefangen und mit Ernst habe ich aufgehört.

Nämlich, vorläufig habe ich aufgehört über unsere Mundarten zu schreiben, aber ganz fertig bin ich mit meinem Artikel doch noch nicht. Da es sich nun klar und deutlich herausgestellt hat, wie wichtig es ist, unsere Mundarten genau zu kennen, ich mir aber die Aufgabe gestellt habe, alle unsere Mundarten kennen zu lernen, sie zu studieren und wissenschaftlich zu beschreiben, da ich mir noch sehr viele wissenschaftlich wichtige Funde verspreche, so habe ich nun an alle meine Leser in allen Dörfern auf Berg- und Wiesenseite eine große Bitte. Die Bitte nämlich, mir bei der Erforschung unserer Mundarten mitzuhelfen. Wie kann das gemacht werden? Das können meine Leser ganz leicht, wenn sie alle Wörter und Sätze, die hier am Schlusse abgedruckt sind, in ihre richtige Dorfsprache übersetzen und mir dann nach der Adresse: Саратов, улица Республики 15, Курсы иностранных языков, проф. Георгию Генриховичу Дингес zuschicken. Es muss aber auf jeder Übersetzung genannt sein: der Name des Dorfes, in dem die Mundart gesprochen wird, der Name des Übersetzers und sein Geburtsort, denn alle Namen derjenigen, die eine Übersetzung in eine Mundart gemacht haben, oder mir obendrein vielleicht auch noch eine oder mehrere lustige, drollige oder auch ernste Geschichten, wie sie im Dorfe vorgehen und erzählt werden, in der richtigen Dorfsprache zugeschickt haben, alle diese Namen sollen in der großen Beschreibung unserer Mundarten verzeichnet und gedruckt werden, damit jedermann sieht, wer an der Arbeit mitgeholfen hat. Ebenso werden auch die Namen derjenigen gedruckt, die im Jahre 1913 und 1914 für unseren Landsmann August Lonsinger solche Übersetzungen gemacht haben, der dadurch, das er Fragebogen in alle Dörfer schickte, mit der Bitte sie auszufüllen, den Grundstein zur Erforschung unserer Mundarten gelegt hat.

Zum Schluss aber, gebe ich noch ein Verzeichnis der Dörfer, aus denen mir zwar Nachrichten über die Mundarten vorliegen, aus denen aber noch keine Übersetzungen oder Erzählungen in der richtigen Dorfmundart vorhanden sind. (Teilweise sind auch da schon Übersetzungen vorhanden, aber es ist vielleicht noch eine weitere Übersetzung zur Nachprüfung nötig.)

Mutterkolonien:

Bergseite: Beideck, Pobotschnoje, Walter, Huck, Moor, Hildmann, Leichtling Kraft, Holstein, Schwab, Nischnaja-Dobrinka, Bauer, Husaren.

Wiesenseite: Schaffhausen, Glarus, Baratajewka, Basel, Brockhausen, Beckerdorf, Paulskoi, Schulz, Reinhardt, Schäfer, Rohleder, Brabander. Alle Minnonitendörfer.

Tochterkolonien:

Bergseite: Neu-Messer, Neu-Dönhof, Neu-Balzer, Unterdorf, Oberdorf, Marienfeld, Walter-Chutor, Franker-Chutor, Neu-Schaffhausen, Deutsch-Danilowka.

Wiesenseite: Frankreich, Friedenberg, Wiesenmüller, Gnadenflur (Mohr), Marienberg, Friedenfeld, Neu-Schilling, Neu-Bauer, Rosenfeld a./J., Katharinofka, Schönfeld, Rosendamm, Mannheim, Gnadenflur, Neu-Boaro, Fresental, Gnadendorf, Alexanderhöh, Weizenfeld, Liebental, Neu-Mariental, Station Urbach. Alle Ansiedlungen des früheren Kantons Alexanderfeld, von denen besonders diejenigen aus Südrussland wichtig sind.

Vor allen Dingen ist es für unseren Zweck wichtig, dass wir genauere Nachrichten aus den Mutterkolonien bekommen, denn erst, wenn die Mundarten der Mutterkolonien gründlich untersucht sind, kann an ein gedeihliches Studium der Tochtermundarten gedacht werden, weil diese ja von jenen abstammen. Aber auch Mitteilungen über Mundarten der hier nicht aufgezählten Dörfer sind selbstverständlich willkommen, denn es fehlen aus allen Dörfern die Übersetzungen der nach den ersten 40 aufgezählten Wörter und Sätze. Die Sätze und die Wörter selbst sind auf dem Blatt, an das die Mundartenkarte angeklebt ist, abgedruckt.


Ergänzung.

Der Aufsatz ist 1922 im November abgeschlossen . Die Mundartenkarte im Februar 1923. Bei der Herstellung derselben lagen, nebst eigenen Beobachtungen und Aufzeichnungen, für A. Lonsinger im Jahre 1913 und 1914 von Volksschullehrer, Schulmeistern, Schreibern und Bauern ausgefüllte Fragebogen (die 40 Wenkerschen Sätze[e]) aus folgenden Ortschaften vor: Katharinenstadt (2)*, Fischer*, Enders*, Orlowskoi*, Jost*, Boaro*, Susannental*, Hockerberg, Kano*, Schwed, Herzog, Krasnojar*, Bangert*, Kukkus*, Warenburg*, Preuß* (2), Zürich, Kind, Obermonjour*, Beauregard, Rosenheim*(2), Stahl a. R.*, Deller, Stahl a. T.*, Lauwe*, Laub*, Dinkel*, Straub, Hölzel, Seelmann*, Neu-Kolonie, Jagodnoje* (2), Norka, Kutter, Balzer, Frank*, Schilling, Anton, Messer, Dönhof, Grimm*, Merkel, Kratzke*, Kauz, Seewald, Rothammel, Degott, Schuck*, Husaren, Vollmer, Pfeifer, Köhler*, Semenowka, Göbel, Tscherbakowka*, Galka*, Müller*, Dreispitz*. Die Fragebogen aus mit * versehenen Ortschaften konnten sowohl vor als nach der Herstellung der Karte eingehender nachgeprüft werden: daher ein Teil der Korrekturen zu der Karte. Für Schäfer stützt sich die Karte im Wesentlichen auf v. Unwerth. Für Hussenbach hat den Fragebogen Prof. Dr. V. Schirmunskij (Petersburg) ausgefüllt. Für Urbach*, Schulz, Reinwald Katharina Petsch stud. phil.

Kosakenstadt, 29. September 1923.


[*] Die Ziffern im Text [1, 2, 3 u.s.w.] kennzeichnen Erweiterungen und Bemerkungen des Autors Georg Dinges.

[1] Der Apostroph (das Häkchen) bedeutet, dass der vorhergehende Selbstlauter durch die Nase gesprochen wird. G.D.

[2] Universität ist eine Hochschule, in der die Ärzte, die Richter, die Advokaten und die Lehrer der Mittelschulen bei Professoren studieren und sich für ihren Beruf vorbereiten.

[3] Daal (Teil) , Baam haben wir auf der ganzen Bergseite (nur Hussenbach und Stephan ausgenommen, wo mhd. e als ee ausgesprochen wird, also deele „teilen“, Gees, „Geis, Ziege“); auf der ganzen Wiesenseite von der Neu-Kolonie bis Brabander (Jost ausgeschlossen, wo es Boum und deelen heißt) am Torgun und vielen anderen Orten, z.B. Kind, Ober-Monjou, Nieder-Monjou, Schaffhausen, Schönchen u.a. Vergleicht die beiliegende Karte, wo auch noch andere Eigentümlichkeiten der Mundarten verzeichnet sind.

[4] Vergl. saat, geleet, frooe, geschdih, mit g – Ausfall; g´schdorb, ausgang, saa gelaß, hergeb, gesprung, geritt, gang, kum, miß „gemüßt“ , u. a. endungslise Partizipia; hem, kle´,zwee, gereeft mit ee, e- mhd. Ei; aa – mhd. ou: laafen 2.pl., Fraa ; gistriche – gestrigen mit i und andere.

[5] Ich bringe den Text der Erzählung in einer vereinfachten Umschreibung, da aus typographischen Rücksichten die Schreibung Schmellers nicht beibehalten werden kann.

[6] Pfennig = ½ Kopeke.

[7] Alle Einwende, die in diesem Aufsatze unserer vermeintlicher Gegner macht, sind in dieser neuentstandenen, aber noch nicht völlig zum Siege gelangten, Mundart des Dorfes Blumenfeld gegeben. Über diese Heimatmundart hoffe ich in nächster Zeit eine Arbeit erscheinen lassen zu können, in der ich, nebst einer genauen und möglichst ausführlichen phonetischen (lautlichen), lautgeschichtlichen und grammatikalischen Beschreibung, auch die Frage der Entstehung einer einheitlichen Mischmundart behandeln werde.

[8] Näheres in meiner größeren Arbeit über die russischen Entlehnungen in den wolgadeutschen Mundarten.

[9] Aus meinen Aufzeichnungen von der Lehrerin Helene Janzen aus Köppental.

[10] Diese Linie beginnt an der französischen Sprachgrenze westlich von Straßburg und zieht immer nordöstlicher Richtung bis nach Thüringen, (südöstlich von der Wartburg), dann zieht sie im Zickzack immer mehr nach Südosten nach Böhmen hinein. Ihr genauer Verlauf ist bei Behaghel Seite 46 beschrieben. Siehe auch die beigelegte Sprachkarte der Mundarten Deutschlands.

[11] Vrgl. Behaghel, S. 45, wo noch als weiterer Unterschied das Oberdeutschen von Mitteldeutschen das Verkleinerungssuffix angeführt wird: das Oberdeutsche gebraucht -le, -la, -lin, -el (Mädle), das Mitteldeutsche fast nur –chen (Mädchen.)

[12] Noch in einem, für uns aber jetzt weniger wichtigen kleinen Teilen heißt es wohl Peffere, aber Funt, Flaume, (Enders, Fischer).

[13] Ostmitteldeutsch ist Schlesien, der Süden der Provinzen Posen und Sachsen, ein südlicheer streifen der Provinz Brandenburg, (der Volksstaat Sachsen (außer dem westlichen Zipfel um Plauen herum), der Norden des Volksstaates Thüringen.

[14] Die Südgrenze des Niederhessischen zieh annährend so: Fulda - Lauterbach - Grebenau- Schwarzenborn - Homberg - Wildungen - Waldek - Freienhagen. Vrgl. H. Reis, Maa... Hessens, S. 11

[15] Dies Gebiet ist auf dem beigegebenen Kärtchen der Mundarten Deutschlands mit einer blauen Linie umgrenzt. Auch ist auf demselben durch Setzung von entsprechenden Kreischen (im ganzen fünf) die Heimat einiger wolgadeutschen Mundarten annähernd angegeben, sowohl nach Kromm-Behaghel u. v. Unwerth, als auch nach eigenen Feststellungen. Vgl. auch Anm. 16.

Über die Einteilung unserer rheinhessischen Mundarten (wie auch der typologisch ostmitteldeutschen) wird eine größere Arbeit von uns handeln, die womöglich alle Mundarten der Mutterkolonien umfassen soll und zu der das mundartliche Material in Form von ausgefüllten Fragebogen – die Wenkerschen Sätze – etwa zu 9/10 schon fertig vorliegen. Auch ist noch anderes (in der Saratower „Volkszeitung“ gedrucktes – und schriftliches) Material vorhanden.

[16] Während der Niederschrift dieses meines Aufsatzes habe ich die Arbeit des Greifswalder Professors W. von Unwert – Proben deutschrussischer Mundarten aus den Wolgakolonien .. Berlin 1918, Sonderabdruck aus den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften – freundlichst zugeschickt bekommen. Das Resultat der Arbeit des Prof. W. v. Unwerth ist für einen kleinen ihm zugänglichen Teil unserer Mundarten folgendes: sie sind westmitteldeutsch: oberhessisch (Jagodnaja–Poljana u.a.), worauf schon Behaghel in der 3. Auflage seiner Geschichte der deutschen Sprache hingewiesen hat, hessisch-pfälzisch (Neu-Weimar und and.) und westpfälzisch (Mariental und and.). Allerdings hatte ich schon im Jahre 1920 Gelegenheit, während meines Magistersexamens in Gegenwart der Professoren M. Vasmer (zur Zeit in Leipzig) und V. Schirmunskij (Petersburg) die westmitteldeutsche Herkunft des größten Teiles unserer Mundarten und insbesondere die westpfälzische (bayrische Pfalz) der Mundarten der katholischen Dörfern am großen Karaman darzulegen. Auch habe ich die Einteilung unserer Mundarten in ostmitteldeutsche und westmitteldeutsche schon in meiner Kandidatenarbeit „Über den russischen Einfluss in in dern Mundarten der deutschen Kolonisten der Gouvernements Samara und Saratow“ dargelegt. Zu dieser (leider noch ungedruckten) Arbeit hat Prof. B. Porzesinsky (Warschau) sein Gutachten den 27. Mai 1917 abgegeben.


Beilage:

Sprachkarte der Wolgadeutschen Mutterkolonien von G. Dinges


Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets. Pokrowsk, 1923, S. 60-73.


Kommentare und Anmerkungen
vom Andreas Idt, Deutschland:

[a] Здесь и далее по тексту в скобках курсивом серым цветом приведены соответствия выражений на литературном немецком языке. Перевод подготовил Андреас Идт.

[b] Zehr-pfennig, -geld, das Geld, das für die Ernährung bes. auf Reisen bestimmt ist, командировочные.

[c] Gehstock, посох.

[d] Параллельный перевод Андреаса Идта.

[e] Die 40 Sätze Georg Wenkers (1880):

  1. Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.
  2. Es hört gleich auf zu schneien, dann wird das Wetter wieder besser.
  3. Tu Kohlen in den Ofen, damit die Milch bald zu kochen anfängt.
  4. Der gute alte Mann ist mit dem Pferd(e) auf dem Eis eingebrochen und in das kalte Wasser gefallen.
  5. Er ist vor vier oder sechs Wochen gestorben.
  6. Das Feuer war zu heiß, die Kuchen sind ja unten ganz schwarz gebrannt.
  7. Er ißt die Eier immer ohne Salz und Pfeffer.
  8. Die Füße tun mir (so sehr) weh, ich glaube, ich habe sie (mir) durchgelaufen.
  9. Ich bin selber bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie sagte, sie wolle es auch ihrer Tochter sagen.
  10. Ich will es auch nicht mehr wieder tun / machen.
  11. Ich schlage dich gleich mit dem Kochlöffel um die Ohren, du Affe.
  12. Wo gehst du (denn) hin? Sollen wir mitgehen (mit dir gehen)?
  13. Das / es sind schlechte Zeiten.
  14. Mein liebes Kind, bleib hier unten stehen, die bösen Gänse beißen dich tot.
  15. Du hast heute am meisten gelernt und bist artig gewesen, du darfst früher nach Hause gehen als die anderen.
  16. Du bist noch nicht groß genug, um eine Flasche Wein allein auszutrinken, du mußt erst noch wachsen und grö ßer werden.
  17. Geh, sei so gut und sag deiner Schwester, sie soll die Kleider für eure Mutter fertig nähen und mit der Bürste rein machen.
  18. Hättest du ihn gekannt! Dann wäre es anders gekommen, und es täte besser um ihn stehen.
  19. Wer hat mir meinen Korb mit Fleisch gestohlen?
  20. Er tat so, als hätten sie ihn zum Dreschen bestellt (; sie haben es aber selbst getan).
  21. Wem hat er (denn) die neue Geschichte erzählt?
  22. Man muß laut schreien, sonst versteht er uns nicht.
  23. Wir sind müde und haben Durst.
  24. Als wir gestern abend heim / zurück kamen, da lagen die anderen schon im Bett und waren fest eingeschlafen / am schlafen.
  25. Der Schnee ist diese Nacht liegen geblieben, aber heute morgen ist er geschmolzen.
  26. Hinter unserem Hause stehen drei schöne Apfelbäume / drei Apfelbäumchen mit roten Äpfeln / Äpfelchen.
  27. Könnt ihr nicht noch einen Augenblick / ein Augenblickchen auf uns warten? Dann gehen wir mit (euch).
  28. Ihr dürft nicht solche Kindereien treiben.
  29. Unsere Berge sind nicht so (sehr) hoch, die euren sind viel höher.
  30. Wieviel Pfund Wurst und wieviel Brot wollt ihr haben?
  31. Ich verstehe euch nicht, ihr müßt ein bißchen lauter sprechen.
  32. Habt ihr kein Stückchen weiße Seife auf meinem Tisch(e) gefunden?
  33. Sein Bruder will sich zwei schöne neue Häuser in eurem Garten bauen.
  34. Das Wort kam ihm von Herzen.
  35. Das war recht von ihnen!
  36. Was sitzen da für Vögelchen oben auf dem Mäuerchen?
  37. Die Bauern hatten (fünf) Ochsen und (neun) Kühe und (zwölf) Schäfchen vor das Dorf gebracht, die wollten sie verkaufen.
  38. Die Leute sind heute alle draußen auf dem Feld(e) und mähen.
  39. Geh nur, der braune Hund tut dir nichts.
  40. Ich bin mit den Leuten da hinten über die Wiese ins Korn gefahren.
    [spätere Ergänzungs-Sätze, nicht immer abgefragt]:
  41. Unser Nachbar hat sich eine Rippe gebrochen.
  42. Das sah böse aus.
  43. Jetzt steht er gerade in der Tür und will in die Kirche.
  44. Wir müssen noch das Heu wenden und Holz hacken.
  45. Unsere Leiter ist entzwei.
  46. Ich kann den Sack auch nicht heben.
  47. Mädchen, komm (her)vor!
  48. Wir müssen noch den Haken suchen.
  49. Ich werde euch schon heimleuchten.

     In einer üblichen Mundart-Erhebung (z.B. Tonaufnahme) folg(t)en dann:

  • die Zahlen von 1-21 sowie 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90, 100
  • die Wochentage
  • dialektrelevante Einzelwörter: heiß, nein, blau, grau, hauen, Hand, Hanf, Helm, Flachs, er wächst, Besen, Pflaumen, Brief, Hof, jung, krumm;
    zwei Jungen, zwei Mädchen, zwei Kinder;
  • Verwandtschaftsbezeichnungen (Vetter, Base, Pate, Schwager, Schwiegermutter usw.)
  • Freie Rede mit möglichst ortsbezogenen Themen (z.B. Sitten und Bräuche, soziale Struktur, Vereinsleben, Ortsspott, sprachliche Unterschiede gegenüber Nachbarorten, Orts-"Originale", Schweineschlachten, lustige Episoden u.a.)


Для желающих послушать и сравнить свой язык с тем или иным диалектом Германии предлагаем ссылку на страницу в Интернете, где указанные выше предложения озвучены. Tonproben der deutschen Mundarten auf: http://mailer.fsu.edu/~weadolph/courses/phon/dialekte.html